Drei Künstlerinnen haben sich zu einer außergewöhnlich gestalteten Ausstellung im Foyer des Kirchheimer Rathauses zusammengefunden. Alle Arbeiten sind mit einem Rundblick zu sehen:
Die schwarz-weißen Papierarbeiten von Patrizia Kränzlein. In fein rhythmisierter Serie hängen sie im Erdgeschoss, mit zwei korrespondierenden Arbeiten im oberen Stockwerk.
Die farbkräftige Malerei von Angelika Lill-Pirrung im Eingangsbereich und im ersten Stock. Auch oben, vor der großen Fensterfront, stehen die in wohlgeordneten Gruppen aufgebauten Figuren – illustre Gestalten oder Stelen, wie Angelika Lill-Pirrung sie nennt.
Im Erdgeschoss die Drahtobjekte von Edel Zimmer, die sie als 'Kleider' bezeichnet, und die 'Runden', die mitten im Treppenaufgang schweben.
Nicht nur die Wände werden von der Kunst vereinnahmt, sondern der ganze Raum – in ganzer Breite, Länge und Höhe. Die Künstlerinnen lassen sich auf die räumlichen Gegebenheiten ein; oder umgekehrt: sie nutzen die räumlichen Gegebenheiten, um herkömmliche Präsentations- und Bildformen in neue Möglichkeiten hinein zu befreien. Die Befreiung vom Herkömmlichen findet sich auch in jeder einzelnen Arbeit wieder, anknüpfend an Traditionen und gleichzeitig diese überwindend.
Angelika Lill-Pirrungs Malerei ist im Grunde Landschaftsmalerei. Landschaftseindrücke von Reisen nach Marokko oder Irland gerinnen in Bilder, die nicht die Landschaft selbst, sondern den Eindruck der Künstlerin von dieser Landschaft wiedergibt. Ihre Befreiung vom Konventionellen kann man programmatisch an dem großen Bild mit dem Titel 'Auf zu neuen Ufern' ablesen. Die Farbintensität – ein traumstrandhaftes Türkis - bestimmt den Eindruck. Zur Chiffre des Aufbruchs werden kleine Boote, die auch in anderen Bildern zu finden sind. Aber auch konkret geht Landschaft ins Bild ein – als Collagenmaterial. In den Marokko-Bildern -in kräftigem Blau und Ocker mit einer Ahnung von Gold- sind es Stofffetzen und trockene Pflanzenblätter – es ist Tee. In einem der Irland-Bilder ist es
Schafswolle, die über dem saftigen Grün der irischen Wiesen in einen rein Weiß strahlenden Himmel hinüberspielt.
Auch in Angelika Lill-Pirrungs illustren Gestalten – oder Stelen – spielen konkrete Fundstücke eine bedeutsame Rolle. So ist etwa der Kopf einer der Gestalten das Horn eines irischen Schafes. Solche Fundstücke bringen die Aura des Gebrauchten, bringen eine Bedeutsamkeit unabhängig vom ursprünglichen Zusammenhang der Fundstücke mit, sie bringen mit ihrer Aura eine spirituelle Wirksamkeit mit. Nicht umsonst sind die Körper der Stelen in einer keramischen Technik gemacht: der Raku-Keramik, einem Verfahren, bei dem bei sehr hohen Temperaturen gebrannt wird – ein schwierig zu kontrollierender Prozess, der zu außergewöhnlichen Oberflächen führt. Hier finden die Erdgeister, die vier
Elemente zusammen: Erde und Wasser machen das Material formbar. Feuer und Luft macht es hart und geben den Stelenkörpern ihre aufregend patinierte Oberfläche. Dies findet statt in einem Arbeitsprozess, der im Ausprobieren das Unkontrollierbare zulässt. Die Figuren erhalten so ein Eigenleben. Auch wenn sie in Reih' und Glied aufgestellt sind, treten sie in Wechselbeziehungen, in Blickkontakte, wenn man so will. In den Stelen konzentriert sich die Aura der als Köpfe verwendeten Fundstücke und die Raku-Keramik der Körper in einer Art von Individualität jenseits der menschlichen.
Ironisch geht Angelika Lill-Pirrung mit der Aura des Fundstücks um, wenn sie drei Figuren aus Bildhauerwerkzeug (einem Klöppel und Griffen von Schnitzwerkzeug) macht – Werkzeug, das sie zur Herstellung der Figuren geraden nicht braucht.
Im Sinne einer Aura, die Landschaften ausstrahlen, lassen sich die Irland-Bilder lesen. Das strahlende Weiß ist so ein Eindruck Irlands, nicht nur als Ort der grünen Wiesen, sondern auch als ein spiritueller Ort mit seinen frühchristlichen und vorchristlichen Kultstätten und Versammlungsorten, was einen tiefen Eindruck bei Angelika Lill-Pirrung hinterlassen hat und das Bild nun leuchtend weiß überstrahlt.
Bringt man die Arbeiten der Ausstellung in den Zusammenhang des Titels 'Raum – Zeit', zeigt sich, wie durchlässig die Kunst für solche Kategorien ist. Legt man Lessings Einteilung der Künste in seinem Laokoon-Aufsatz an, in dem sich die bildende Kunst auf Kategorien des Raums bezieht und sich in einem fruchtbaren Moment in einem einheitlichen Ganzen konzentriert, dagegen die Literatur mit der Zeitlichkeit arbeitet und Ereignisabläufe darstellen kann, die in einem zeitlichen Ablauf aufgenommen werden müssen, dann wird besonders deutlich, wie diese Einteilung in Raum und Zeit durchbrochen ist.
Angelika Lill-Pirrungs Arbeiten nehmen die Zeitlichkeit als nicht mehr gebrauchte Fundstücke in sich auf. Edel Zimmers fruchtbarer Moment besteht in der Transparenz von einem Zustand in einen anderen. Und Patrizia Kränzlein bringt eine vermeintliche Räumlichkeit eines einheitlich Ganzen in Bewegung.
Alle ausgestellten Arbeiten zeigen, wie sich künstlerische Positionen öffnen und neue Sichtweisen anbieten: Patrizia Kränzlein zeigt, wie Konstruktionszeichnungen zu bildhauerischen Objekten transformiert werden. Edel Zimmer zeigt, wie plastische Abformungen als Ideenskizze für äußere Einflüsse transparent gemacht werden. Angelika Lill-Pirrung zeigt, wie inneren Eindrücken durch reale Fundstücke eine idolhafte, magische, transzendente Wirkung verliehen wird.
So könnte dem Titel der Ausstellung ein ergänzender Untertitel angefügt werden:
Transzendenz – Transparenz - Transformation